Ankommen und ablegen

Aus dem Katalog „Zur Nachahmung empfohlen!“, Oktober 2015, von Rebecca Raue


Boote reisen oft durch meine Bilder. Sie faszinieren mich, weil sie einen Raum kreieren, einen Ich-Raum. Ein Boot auf dem Meer. Ein Mensch in einem Boot. Vielleicht allein. Rundherum Wasser. Das Boot ist ein Transportmittel, ein Schutzraum, ein Zuhause vielleicht. Man kann ein Boot steuern, die Segel setzen. Dennoch ist das Boot dem Meer und dem Wind ausgesetzt. Man kann auch aus Papier Boote bauen. Um zu spielen. Um von Weite zu träumen. 2014 hat das Boot für uns alle eine ganz andere, gar nicht spielerische, Wirklichkeit bekommen. Menschen sind auf Boote gestiegen, um aus ihrer Realität in eine andere, vermeintlich bessere Welt zu fliehen. Viele, viele sind gestorben und auch jetzt gerade, während ich diese Zeilen schreibe, befinden sich viele in großer Not. Die Dramen, die sich auf der Flucht von Krieg und Angst abspielen, sind trotz der umfangreichen Berichterstattung kaum vorstellbar. Manche Bilder sind so hart und überfordernd, dass es ein natürlicher und nachvollziehbarer Reflex ist, sich ihnen zu verschließen, kalt zu werden.

Nur wenn sich das Äußere im Inneren spiegelt berührt es im Hier und Jetzt. Ohne fremd und somit überfordernd zu sein.
Die Boote in der Installation »Ankommen und ablegen« wurden aus MDF-Platten gebaut. Von Afrikanern, die mit ähnlich einfach gebauten Booten übers Mittelmeer nach Lampedusa und schließlich nach Berlin gekommen sind. Viele andere sind auf der Überfahrt ertrunken, das Meer hat sie verschluckt.
Die Struktur der Boote ist dem klassischen Papierschiffchen nachempfunden. Sie assoziieren Leichtigkeit und sind doch schwer. Sie assoziieren Wasser und haben doch Rollen, um im Raum bewegt und bespielt werden zu können. Sie sind so gebaut, dass sich Menschen hineinsetzen und im Boot sitzend von jemandem der schiebt oder zieht bewegt werden können. Sie laden ein zur Interaktion. Die Segel der Boote sind ganz spartanisch zusammengenäht aus getragenen Herrenhemden. Auch sie haben eine Geschichte. Und sie verweisen auf das menschliche Schicksal. Die Boote heißen die Betrachter willkommen. Sie sind nicht bedrohlich. Und doch tragen sie Geschichten von Flucht und Angst in sich. Leid und Freude sind universal. Um nachhaltig agieren zu können müssen wir einen persönlichen Bezug zu dem Geschehen um uns herum finden. Das Politische muss privat werden, damit wir trotz aller Härte mit der Realität eine persönliche Beziehung etablieren und uns als Folge daraus auch wirklich einbringen können.

Meine Räume sollen Menschen dazu anregen, sich mit ihren Innenräumen auseinander zu setzen. Ich fordere auf zu mehr Berührbarkeit. Ich glaube an die Qualität des Sich-Zeigen-Könnens. Dazu brauchen wir geschützte und doch öffentliche Räume. Wir müssen aufeinander aufpassen, einander zuhören, einander sehen. Menschen, die jetzt für diejenigen, die zu uns kommen, da sind, steigen mit in das Boot. Sie bieten sich an, um den Schmerz zu teilen, um ihn mitzutragen. Sie lassen sich ein auf eine gemeinsame Reise, die uns alle verändern wird. Sich im Innen berühren zu lassen und gleichzeitig die Freude der Verbundenheit zu spüren, ist eine bewegende Erfahrung. In diesem Erleben liegt ein große Chance.
Denn wenn immer mehr Menschen die Sehnsucht nach tiefer Sinnhaftigkeit in ihrem Handeln, Denken und Sein verspüren, brechen alte Hierarchien weg. Wir agieren dann gemeinsam, unterstützend. Und uns wird bewusst, dass wir letztendlich alle miteinander verbunden sind. Die Boote sind entstanden in Zusammenarbeit mit Cucula.